Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das konsumiert, ohne zu produzieren. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, den Pflug zu ziehen, er läuft nicht schnell genug, um Kaninchen zu fangen. Und doch ist er Herr über alle Tiere. Er schickt sie an die Arbeit und lässt ihnen dafür das bare Existenzminimum, damit sie ihm nicht verhungern, und den Rest behält er für sich. Unsere Arbeit ackert den Boden, unser Dung düngt ihn, und doch gibt es keinen unter uns, der mehr besäße als die nackte Haut. [Farm der Tiere, S. 11]
Ich bin ehrlich: Die Farm der Tiere habe ich nie gelesen. Bisher. Der Inhalt ist mir allerdings bekannt und daher war ich sehr gespannt, wie das Duo diesen Klassiker umsetzen würde. Insgesamt vier Bände sind geplant und nach einem ersten Eindruck würde ich sagen, dass die den Kern gut abdecken werden. Allein die Szenarien im Auftakt “Schloss der Tiere, Miss Bengalore” sprechen bereits für eine gute Basis, auf der die Grundstory aufgebaut werden kann. Bevor ich weiter kryptisch daher rede, kommt hier kurz der Inhalt:
In einem Schloss im Wald leben zahlreiche Tiere. Einst von Menschen gebaut, haben sie nun ihr eigenes Reich dort errichtet. Man folgt Regeln und Grundsätzen, muss sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Der Comic steigt mit einer Hinrichtung ein. Friede, Freude, Eierkuchen scheint nicht in der kleinen Republik zu herrschen. Das Huhn Adeleide hat ein Ei zurückgehalten und nicht dem Herrscher übergeben. Eine Todsünde. Somit wird es auf Kommando von den Hunden zerfleischt.
Wow. Mit diesem direkten Einstieg hatte ich nicht gerechnet. Jetzt weiß man allerdings wo der Hase lang läuft und der Katze Bengalore geht dieses unsinnige Abschlachten gehörig auf die Nerven. (Mir auch.) Sie möchte etwas verändern, sie will, dass die Tiere sich wehren und nicht einfach ihr Schicksal so hinnehmen. Doch, man kann es sich schon denken, jedes Widerwort wird dem Tod bestraft. Ob sie dennoch eine kleine Rebellion anzetteln kann? Eine Veränderung ist ein Hoffnungsschimmer, der sie am Leben erhält und sie weiter schuften lässt.
Arm und Reich. Fett und Dünn. Dumm und schlau. Gegensätze ziehen sich magisch an. Die Grundbausteine von der “Farm der Tiere” werden hier 1:1 übernommen. Man möchte etwas verändern und zettelt eine Revolution an, aber will man die auch wirklich? Bei George Orwell ich das eine Kernaussage. Ich bin gespannt, wie das noch umgesetzt wird. Bisher reicht allein die Optik schon aus, um mich glücklich zu machen. Tiergesichter, deren Mimik Bände spricht. Wo ein Gesichtsausdruck manchmal mehr aussagt, als die Sprechblase daneben.
Trotz dem Trubels und des raschen Tempos, sind die Panels klar gegliedert. Man kann dem Verlauf problemlos folgen und verliert an keine Stelle den roten Faden. Bedeutende Szenen fallen einem sofort ins Auge. Manche schmerzen, bei manchen denkt man sich “Gott sei dank!” und bei anderen wiederum, kann man nur mit dem Kopf schütteln. Ja, ich war voll drin und hatte meinen Lesespaß. Die Emotionen sind komplett auf mich übergesprungen.
Eckdaten (Anzeige)
72 Seiten
Juni 2020 veröffentlicht bei Splitter Verlag*
Gesamtausgabe (1-3)
komplett in Farbe
von Xavier Dorison (Writer) + Félix Delep (Art)
auch besprochen auf “Buchperlenblog*“
ein weiterer Comic von Xavier Dorison als Schreiber “Heiligtum*“
An dieser Stelle ein kleiner Kritikpunkt, der eigentlich meckern auf hohem Niveau ist. Gelegentlich hätte ich mir gewünscht, dass die Panels, diese klare Struktur, durchbrochen worden wäre. Einmal keine klare Abgrenzung, sondern ein one-shot, ein fließender Übergang, ohne harte abgrenzende Linien. Das hätte oder eher würde, dem Werk sicher gut tun. Aber, wie gesagt, das ist ein Schönheitsmakel, der meinem persönlichen Lesegeschmack entgegen gekommen wäre. Wer weiß, vielleicht kommt so etwas noch in den kommenden drei Bänden?
Wen du dich jetzt fragst, warum ich bisher mit keinem Wort den Stier auf dem Deckblatt erwähnt habe, dann könnte es daran liegen, dass ich dem Bösen (noch) keinen Spielraum geben möchte. Der Herrscher dieser Republik wird in den Folgebänden sicher noch genug zu Wort kommen.
“Schloss der Tiere” ist unterhaltsam, lustig, traurig, mörderisch, brutal, schweißtreibend, schockierend und traumhaft zugleich. Dass hier die Menschen in Form von Tieren agieren, brauch ich sicher nicht erwähnen. Kritik in Hülle und Fülle an der Gesellschaft. Boshafte Witze zu Lasten der Mächtigen. Schwere Herzen und erste Hoffnungsschimmer für die Armen. Der Mix ist es, der mich so begeistert zurückgelassen hat und weswegen ich diesen Auftakt jedem nur ans Herz legen kann!
*auf die Wunschliste schieb-Geräusch und dabei vorwurfsvoll den Kopf schüttle*
*sich im Stuhl zurücklehnt und wissend nickt*