„Sie sehen dich“
von A.M. Shine
„Auch an den hellsten Tagen wirkte der Wald finster.“ (Beginn)
Mina sitzt an einem verregneten Tag in einem Pub und ist auf der Suche nach Gesichtern.
Nicht irgendwelchen, sondern jenen, die sich studieren und in ihrem Skizzenbuch festhalten kann.
Ihr Blick schweift umher. Doch richtig fündig wird sie nicht. Stattdessen nimmt sie einen etwas ungewöhnlichen Auftrag an.
Einen Papagei zu einem Bekannten bringen. Eine Gefälligkeit unter Freunden.
Der Goldsittich* ist ein gutes Sümmchen wert und sie bekommt einen Teil des Gewinns ab.
Ausgestattet mit einer mehr oder weniger hilfreichen Landkarte macht sich Mina auf den Weg.
Es regnet, es wird immer dunkler und Peters Landkarte erweist sich als dezent nutzlos.
Dann bleibt ihr Auto stehn.
„Wo zum Teufel bin ich? Die Scheinwerfer waren weit und breit die einzige Lichtquelle, um zum ersten Mal seit langer Zeit setzte ihr die Einsamkeit richtig zu.“
(S.29)
Relativ gelassen, durchdenkt sie ihre Lage. Sie hat ein Telefon. Der Vogel hat Futter. Sie steht mit dem Auto an einem unbekannten Ort. Aber – sie sitzt im Trocken und der Vogel leistet ihr Gesellschaft!
Dann wird es stockduster. Das Licht geht aus. Ihr Telefon ist nicht mehr aktivierbar. Mina redet sich Mut zu, raucht eine Zigarette für die Nerven und da …
Ein gellender spitzer Schrei, der absolut nich natürlich klingt.
Ein Sonnenstrahl weckt das ungleiche Duo. Die kalte Nacht im Auto haben beide überstanden. Erneut sondert Mina die Lage. Das Telefon ist weiterhin nutzlos. Vom Auto ganz zu schweigen. da hilft nur noch eines: Laufen.
Also schnappt sie sich den Sittich, ihre Tasche und tritt den Weg durch den Wald an. Ein Pfad leitet ihr die Richtung. Die Tage sind kurz und so fängt es recht früh an zu dämmern. Noch immer ist kein Ziel in Sicht und Mina richtet sich bereits innerlich darauf ein im Freien zu übernachten. Ein unschöner, frostiger Gedanke.
Da erblickt sie ein Licht. Eine Laterne?
Kurz darauf sieht sie die Umrisse einer Person, die ihr zu verstehen gibt, sich zu beeilen. Mina versteht die Eile nicht. Bis sie SIE wieder hört. Die spitzen Schreie, die durch den Wald hallen.
„Du hast Glück, dass du noch lebst,“ sagte die Frau und streckte ihr die Hand entgegen. „Schnell, komm mit, Das Licht ist schon eingeschaltet.
(S.45)
Und damit herzlich willkommen zu dieser Horror Novelle, die völlig unscheinbar anfängt und dann dir ins Ohr schreit. Im übertragenenen Sinne natürlich. Tee und Kekse stehen bereit? Dann den Tee vielleicht direkt austrinken, sonst wird er kalt. Denn du wirst nicht dazu kommen, ihn heiß zu trinken. Was jetzt nicht an der extremen Spannung liegt. Nicht negativ gemeint!. Eher daran, dass das Buch dich ziemlich schnell in den Bann zieht und durch die Zeilen zerrt. Bis. Zum. Schluss.
Der Einstieg war für mich erst einmal verwirrend. Denn vor Mina kommt noch eine Person zu Wort und deren Worte haben für mich in dem Moment keinen Sinn ergeben.
Liest du das Kapitel zum Schluss noch einmal, wird alles schlüssig. Als Tipp.
Mina selbst hab ich mit ihrer menschnlichen Art direkt ins Herz geschlossen. Meine Gedanken kreisten darum, dass der Sittich das alles bitte überlebt und Mina natürlich auch.
Selbstverständlich ist das zu keinem Zeitpunkt.
Denn die Frau, die Mina in die Hütte lässt und ihr somit das Leben rettet, ist rigeros, wenn es um das nackte Überleben geht. Kurz: Sie sind in dem Haus vorerst gefangen. Wochenlang.
Warum? Das findet Mina recht schnell heraus und diese Schreie, die sie hörte, spielen darin eine wichtige Schlüsselrolle.
Das Buch ist in verschiedene Monate unterteilt. Gemeinsam mit den Bewohnner*innen durchleben wir ein paar aufregende Wochen im Wald. Umgeben von diesen tödlichen Schreien, die hochintelligent sind.
Blut und Splatter wirst du hier vergebens suchen. Zwar gibt es ein paar heikle Momente, doch daran wird sich nicht gelabt. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Story selbst. Feiner Grusel-Horror, der besonders abends im Wald zur Geltung kommt.
Ich selbst hatte vor allem bei dem Umbruch der Handlung ein hohes Spannungsgefühl, was dann von den letzten Zeilen des Buches ein äußerst feines i-Tüpfelchen bekommen hat.
Fazit
„The Watchers“ ist ein Buch, was gruseln kann, aber nicht muss. Deine falschen Erwartungen sollten schnell im Keim erstickt werden. Hier geht es um alte Erzählungen, die wahr sein könnten, aber nicht müssen. Geschichten, die einem am knisternden Kaminfeuer erzählt werden. Die gruslig und magisch zugleich sind.
Ich selbst habe mich unterhalten gefühlt und war nach dem zweiten Abschnitt direkt gefesselt. Daher gibt es hier einen klaren Lesetipp von meiner Seite!
Subtiler Horror ist etwas, womit ich mich generell gut anfreunden kann. Egal ob Buch oder Film.
Apropos Film. Dieser schneidet beim Publikum recht schlecht ab. Nachdem ich den Trailer gesehen habe, stören mich dort bereits einige geänderte Dinge, die im Original perfekt zum feeling passten und somit zerstört wurden. Zudem erzählt er bereits viel zu viel. Daher: Finger weg vom Trailer, wenn du (zuerst) das Buch lesen möchtest!
Goldsittich*
Diese Vögel sind vom Aussterben bedroht, daher ist jeder Handel mit ihnen untersagt.
Lesetipps aus der Rubrik „Horror*
Widows Point und Der Höllenbote
Schreibe den ersten Kommentar