von Cheon Seon-Ran
Rezensionsexemplar
“Die wahre Bedeutung von Glück“
Mit dieser Überschrift kommt der Klappentext des Buches daher und macht direkt deutlich worin es in diesem Werk geht. Wahr. Bedeutung. Glück.
Das klingt etwas nach einen Teebeutelspruch. Denn wer kennt schon die Bedeutung von Glück. Was ist überhaupt Glück?
Eine individuelle Vorstellung. In diesem Punkt sind wir uns wohl einig.
Bei den Feinheiten hingegen scheiden sich die Geister.
Genauso ist es in diesem Buch. Es gibt nicht EINE Bedeutung oder DIE eine Erklärung. Alles ist individuell interpretierbar.
Der Inhalt
Das Rennpferd Today hat ausgedient. Es bringt nicht mehr die gewünschte Leistung und wird entsprechend zeitnah ausgemustert. Wie ein Gegenstand.
Wobei hier ausgemustert den Tod bedeutet.
Sein Jockey Koli, ein Roboter, ist ab der Hüfte abwärts zerstört und soll auf dem Schwarzmarkt verhökert werden. Inoffiziell.
Was niemand weiß, der Roboter hat dank einer Verwechslung menschliche Gefühle entwickelt und findet es nicht toll, von seinem Pferd Today getrennt zu werden.
Yeonjae hat eine Vorliebe für Technik und lebt diese heimlich aus. In der Schule hat sie keine Freunde. Bis da plötzlich dieses Schulprojekt kommt und eine Freundschaft aufkeimt.
Oder ist sie eher Mittel zum Zweck?
Eunhye ist die ältere Schwester von Yeonjae und sitzt im Rollstuhl. Eigentlich sollten ihr längst Beine transplantiert werden, aber dies ist viel zu kostspielig.
Bogyeong ist die Mutter der Schwestern. Sie ist stetig am arbeiten, vergräbt sich in Trauer um ihren Mann und verliert dabei das Schaffen ihrer Töchter fast aus den Augen.
All ihre Handlungen und Taten sind in dieser Geschichte miteinander verwoben. Der Roboter möchte ein letztes Mal das Pferd Today glücklich sehen. Yeonjae möchte ihrer älteren Schwester eine mobilere Zukunft ermöglichen und ihre Mutter muss ihrem Trauerloch endlich entkommen, damit sie nicht untergeht.
So depressiv und traurig das im ersten Moment klingt, ist es zunächst auch. Lediglich der Roboter hinterfragt und sieht die positiven Dinge, wie das Blau des Himmels. Er ist die Schlüsselfigur zwischen allen.
Doch kann ein Roboter – selbst wenn er menschliche Emotionen entwickelt kann – wirklich ein Pferd, zwei Schwestern und eine gebrochende Ehefrau retten? Durchaus.
Der Schreibstil & Aufbau
Das Buch beginnt mit dem Ende.
Ein stilistisches Mittel, was durchaus seine gekonnt in Szene gesetzt werden kann. Denn wir wissen schließlich nicht, WIE es zu diesem Ende kam. Spannung kann auf diesem Weg gut aufgebaut werden. Oder. Im Lauf der Handlung lässt die Leselust nach, da das Ende schließlich bekannt ist und somit der Spannungsbogen nicht haltbar ist.
Tausend Arten von Blau geht einen Mittelweg. Trotz den Wissens, wie es endet, konnte ich mich absolut in der Handlung vertiefen und mit den Schwestern mitfiebern.
Lediglich gegen Ende, wenn im Innersten die stille Hoffnung keimt, ließ die emotionale Bindung etwas nach, da ich schließlich wusste was kommen wird.
“Warum hast du mich gerettet? […]
“Es bestand ja noch eine Wahrscheinlichkeit von drei Prozent.”
“Nur drei Prozent.”
“Der Mensch ist anders als eine Maschine […] Es gibt die Wahrscheinlichkeit, dass man weiterlebt.” (S.80)
Die Autorin zeigt in dieser kurzen Geschichte stetig auf, wie wichtig die Entwicklung und der Fortschritt ist. Zeitgleich macht sie bewusst, dass ein Mensch dennoch nie komplett von Maschinen ersetzt werden kann. Selbst wenn Maschinen Gefühle entwickeln. Gefühle basieren hier nicht auf Emotionen, sondern Aspekten jeglicher Art, die maschinell mit einer Wahrschreinlichkeitsquote errechnet werden.
Hingegen sind Menschen immer von Emotionen geleitet, selbst wenn sie diese zu unterdrücken versuchen oder glauben keine zu haben. Ob nun positiv oder negativ sei dahin gestellt. Denn: “Auf der ganzen Welt, im ganzen Kosmos gibt es kein Wesen, das so grausam ist wie der Mensch.” (S.226)
Fazit
An “Tausend Arten von Blau” bin ich recht unbedarft herangetreten. Aktuell reicht es mir fast, wenn es ein asiatisches Werk ist. Fast. Hier hat mich vor allem der Hinweis “Roboter entwickelt menschliche Gefühle” gereizt. Gemixt mit menschlichen Schicksalen, die gar nicht so weit hergeholt schienen. Softe SciFi quasi.
Die Frage nach der Bedeutung von Glück schwebt die ganze Zeit schwanger im Raum herum. Denn jede Figur hat so ihre ganz eigenen Vorstellungen. Hinzukommt, dass sie glauben zu wissen, was für die anderen Glück bedeutet.
Trauer, Schmerz, Freude und Hoffnung liegen also wirklich eng beieinander und das in einem Buch mit knapp 370 Seiten. Überladen ist dennoch nie, ebenso zu kurz. Alle haben bei mir Interesse geweckt und ich war bei allen gewillt ihr Leben in diesem kleinen Abschnitt zu begleiteten.
Ein Roboterjockey bringt Leben. Obwohl seine Tage bereits gezählt sind, hat er einen letzten Wunsch, der ihm gewährt werden soll und öffnet gleichzeitig die Augen einer kleinen Familie, die ihr eigenes Glück stets hintendran stellt(e).
Lesetipp aus Japan: Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
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