|Crime| “Die Rache der Polly McClusky”

The road was so dimly lighted
There were no highway signs to guide
But they made up their minds if all roads were blind
They wouldn’t give up ’til they died.

 

The road gets dimmer and dimmer
Sometimes you can hardly see
But it’s fight man to man, and do all you can
For they know they can never be free.

 

[Auszug aus “The Ballad of Bonnie and Clyde” by Bonnie Parker]

Mit den ersten vier Zeilen wird die Geschichte um Polly McClusky in die Wege geleitet. Was ist also unsere erste Assoziation? Wir befinden uns auf einer dunklen Straße. Dem Highway ins Nichts. Es ist schummrig, wir sind sind auf der Flucht. Wir sind am Ende, aber das Wort “aufgeben” existiert in unserem Wortschatz nicht. Wir bleiben standhaft. Auge um Auge. Zahn um Zahn. So, wie man es kennt. Wir folgen unserer Spur. “Some day they’ll go down together And they’ll bury them side by side.” *

Liest man in das Buch rein, hat man bereits eine gewisse Ahnung. Wohin sich Polly McClusky bewegen wird. Das Mädchen ist gerade einmal 11 Jahre alt, als ihr leiblicher Vater Nate McClusky aus dem Gefängnis entlassen wird. Dummerweise hat er dieses nicht gerade lammfromm und stubenrein hinterlassen. Somit kursiert ein Schreiben. Nein. Eher ein Hinrichtungsbefehl. Man will Rache an der Tat von Nate, für die er nie angeklagt wurde:

»An alle auf rechten Soldaten im Knast oder auf der Straße«, so fingen die Mitteilungen an. Unterschrieben waren sie mit dem Motto »Steel forever, forever Steel«. Dazwischen ein Rachefeldzug. Die Namen von drei Verurteilten wurden genannt: Ein Mann. Eine Frau. Ein Kind. Verlangt wurde eine besondere Art der Hinrichtung. Alttestamentarische Vergeltung. (S.10)

Freudig reibt man sich nun die Hände. Perfekt. Der Vater will Tochter und Ex-Frau beschützen, gerät in einen Strudel aus Gewalt und Verderben. Die Tochter erlebt alles mit. Ist für ihr Lebens traumatisiert. Cut. Polly ist älter und reifer. Nun ist sie am Zug. Jetzt übt sie Rache aus! Ha, genauso schwirrte es in meinem Kopf umher. Nur irgendwie läuft die Story nicht so ab. Ähnlich. Naja, fast. Polly wird nicht erwachsen. Zumindest nicht im Laufe der Geschichte. Sie ist weiterhin elf Jahre alt. Wird von ihrem Vater eingesackt und ist fortan mit ihm auf der Flucht.

Was einem sofort auffällt ist der Schreibstil. Er ist ungewohnt. Jordan Harper liebt es Dinge zu personifizieren. So spucken Fenster Glasscherben und Blicke können Menschen ficken. Aber auch Wortneuschöpfungen sind gern gesehen. Wie etwa die Revolverheldenaugen oder das Raketenlächeln. Das macht anfangs wirklich Spaß. Der raue, derbe Ton, wird durch verkorkste Wörter unfreiwillig (?) aufgelockert. Nate ist der harte Typ, der nur seine Familie schützen will und dabei selbst extrem unter Beschuss gerät.

Polly, die von der Venus kommt und mit ihrem Teddy spricht, wirkt auf der einen Seite hochintelligent und auf der anderen völlig wirr im Kopf. Sie weiß nämlich, dass das Plüschtier nicht spricht und sie von der Erde stammt. Aber fantasievolle Luftschlösser sind schon was Feines. Eine Flucht vor der Realität. Das Wort “reif” ist mir dabei aber niemals in den Sinn gekommen und so konnte ich gewisse Handlungen des Mädchens absolut nicht nachvollziehen. Nicht so schnell. Nicht so rasant.

From heartbreak some people have suffered
From weariness some people have died

(Absatz 10 “The Ballad of Bonnie and Clyde”)

Man hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Neue Gesichter kommen hinzu. Gehen schnell wieder oder bekommen sogar einen eigenen Part zugeteilt. Von “der Rache der Polly” ist während der gesamten Handlung nichts zu spüren. Es ist ein Roadmovie. Eine Flucht vor den Schatten der eigenen Taten. Der Vergangenheit von Nate. Polly hat nur das Pech, seine Tochter zu sein. Eigentlich hätte all das wunderbar funktionieren können. Hat es nur leider nicht. Woran es lag? An der erwähnten Unglaubwürdigkeit, den falschen Erwartungen und der Sprache – die ab einem gewissen Punkt einfach zu viel war.

Im Kopf sah sie gesichtslose Männer mit tätowierten blauen Blitzen und Zähnen wie gelbe Sägeblätter.
Ich kann nicht wegrennen. Ich kann nicht. (S.29)

Abschließend kann ich sagen, dass der Sprecher einen guten Job gemacht hat. Zwar musste ich anfangs schmunzeln, als er mit zwanghaft böser Stimme von harten, gefährlichen Wattestäbchen als Waffe im Gefängnis spricht. Danach flutscht es. Seine Stimmlage passte zum Buch und den erzählten Worten. Retten konnte er es damit nur nicht. Aber wohl dabei geholfen, dass ich das Hörbuch nicht abgebrochen habe.

Ich möchte das Buch nicht in Grund und Boden stampfen. Auf gar keinen Fall. Die Basis finde ich weiterhin gelungen. Ebenso das Setting. Es wurde lediglich nicht meine Lesefreude gestillt und ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

* letzter Absatz “The Ballad of Bonnie and Clyde


Der Originaltitel lautet “She Rides Shotgun” und passt wie die Faust aufs Auge.


Genre: Crime / VÖ: Februar 2018 / Verlag: Hörbuch Hamburg / Seiten: 393 min / Serie: Einzelband

weitere Kritiken:  Schurkenblog, Kathrineverdeen, Vanessas Bücherecke, …

erhältlich bei: hugendubel

 

Ein Dank an Vorablesen.de

2 Kommentare

  1. Schurkenblog
    5. März 2018
    Antworten

    Neuer Versuch ;-).
    Mir ging es ähnlich wie dir. Anfangs war ich ganz begeistert, doch schon ziemlich bald, war ich von der Sprache enttäuscht. Es las sich wie ein Jugendroman mit Erwachseneninhalt, für mich einfach unrund. Als hätte sich der Autor nicht zwischen Jugendthriller und Erwachsenenliteratur entscheiden können ;-).
    Dennoch hoffe ich, dass noch was von dem Autor kommt. Inhaltlich fand ich es ganz gut, wenn auch ziemlich unglaubwürdig. Aber die Idee, die Idee gefällt mir.

    • kaisu
      5. März 2018
      Antworten

      Ja, ich möchte auch noch ein Buch von ihm lesen. Neige sogar dazu es auf englisch zu versuchen, um zu wissen, wie es im Original “klingt”.

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