Geschichten aus der Pathologie
“Ich denke nicht viel nach.” (S.12)
Wer kümmert sich um die Körper, die ausgenommen und aufgebahrt werden? Wer geht den Pathologen und Rechtsmedizinern zur Hand oder arbeitet selbstständig vor? Wer entnimmt Organe und Skelettteile, wiegt und misst sie? Es sind die Präparationsassistenten. Genau diesen Beruf übt Paul Hille aus. Das Leben und eine Umschulung hat ihn in diesen Beruf gespült und seitdem nicht mehr hergegeben.
In diesem Buch geht er auf seine Erfahrungen ein. Wie es ist, als Quereinsteiger mit Leichen zu arbeiten. Deren Organge zu entnehmen, anhand der Optik und des Gewichts direkt zu erkennen, ob ein gesundheitliches Problem vorlag. Oder doch der Rechtsmediziner ran muss, da kein natürlicher Tod festzustellen ist. Diese Arbeit, das aufschneiden und selektieren verlangt eine ruhige und geschickte Hand. Zudem darf man die Bodenhaftung nie verlieren und sollte nicht zu viel darüber nachdenken.
“Ja, wir pfiffen und lachten, wir sangen und quatschten. Das macht es möglich mit den Toten zu arbeiten.” (S.59)
Ein weiterer Punkt ist das Aufbaren der Körper. Paul Hille ist kein Balsamierer. Er schminkt die Leichen nicht oder näht gar Augenlider und Lippen zusammen. Die Körper bleiben in ihrer natürlichen, aufgefundenen Position. Gereinigt und abgedeckt. Mit den Mitteln liebevoll hergerichtet, die ihm zur Verfügung stehen, damit die Angehörigen Abschied nehmen können. Dabei ist es nicht immer der Opa, der in den Kellergewölben ruhig wartet. Manchmal sind es junge Geschwister oder gar Babys.
Was macht man denn, wenn jemand das Zahngold haben möchte? Und das nicht in einem Gebiss eingearbeitet ist, sondern im Kiefer selbst. Ganz einfach: “Nein.” sagen. Aber was ist, wenn der Angehörige darauf besteht, das Gold zu bekommen. Weiterhin “Nein” sagen. Gibt er dann immer noch nicht nach, drückt man ihm eine Rohrzange in die Hand und er soll selbst zur Tat schreiten. Was er in dem Fall natürlich nicht gemacht hab. Ist doch viel zu brutal! Aber der Präperator kann es ja machen, nicht wahr? Man merkt, vor solchen Menschen, ist man nicht einmal in diesem Beruf verschont.
“Wenn das Herz aufhört zu schlagen, gibt es immer eine Ursache dafür, es versagt nicht einfach so. Ursachen gibt es in einem kaum erfassbaren Ausmaß. Um es zu vereinfachen: Nehmt alles Schlechte dieser Welt. Der Körper reagiert auf alles. Diese Formel ist so einfach wie wahr.” (S.117)
Das Buch ist keine Abhandlung von Mordfällen. Es werden keine bekannten Namen aus den Medien oder gar Pseudonyme genannt. Hier geht es wirklich um den Beruf und was er mit einem Menschen macht. Dabei erzählt der Autor nicht nur aus den kühlen Kellerräumen, sondern auch aus seinem Leben. Wie er zu dem geworden ist, was er heute ist. Ein Mann, mit vielen Facetten, der es wahrlich nicht leicht hatte in seinen jungen Lebensjahren.
In achtzehn Kapiteln entführt uns Herr Hille in die Pathologie. Macht Schlenker nach Hause, zu seiner Oma, der Zeit im Heim oder zu dem Künstlerstudium. Man kann also von einem biographischen Werk sprechen. Direkt zu Beginn, leitet er es auch so ein. Er möchte sein Schaffen festhalten und den Leuten mit diesem Buch erklären, was er in der Pathologie zu suchen hatte. Ganz uninteressant ist dieser Punkt nämlich wirklich nicht, denn wie gelangt man vom Zirkus in pathologische Untersuchungsräume?
Als ich mir dieses Buch geholt habe, hat mich vor allem der Titel angesprochen. Dazu der Klappentext, perfekt! Was ich nicht erwartet habe ist, dass es so biographisch wird. Genau dieser Punkt hat mit letztlich auch an dem Buch gestört. Ich mag die Art, den Witz, die Wortspiele, mit denen Paul Hille seine Arbeit erklärt und von diversen Erlebnissen berichtet. Aus der Pathologie. Sobald er in sein Privatleben umschwenkt, fühlte ich mich gelangweilt. Es interessierte mich schlichtweg nicht.
Dadurch konnte ich das Werk nur mit einem lachendem und einem weinenden Auge zuklappen. Man erkennt recht schnell die Kapitel, in denen er nicht über seinen Brotshop redet. Diese habe ich irgendwann nur noch überflogen und die anderen Zeilen umso mehr in mir aufgesogen. Denn sein Schreibstil macht wirklich Spaß, dazu das Wissen, was er geschickt einbaut und an die Leser weitergibt: Perfekt! Wer übrigens jetzt denkt, dass das Buch soft ist, weit gefehlt. Die Beschreibungen sind teilweise recht bildhaft und ungeschönt.
>> Ein halber Lesetipp. Man sollte sich bewusst sein, auf was man sich einlässt. Wer biographische Einschläge mag, ist hier genau richtig.
Steckbrief zu Paul Hille
*1964
– arbeitet(e) als Clown, Grafiker, Tätowierer
– Umschulung zum med. Sektionsassistenten
VÖ: 2012
Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
ISBN: 978-3862651146
Kaufen: als Print nur noch gebraucht erhältlich, alternativ ebook
Genre: wahre Verbrechen in Deutschland
Beruf: med.Sektions- und Präparationsassistent
“Die letzte Autopsie – Eine Liebe unter dem Seziermesser” (2013)
Der nächste Beitrag folgt bei Conny. Macht euch auf die Verbrechen der Vergangenheit gefasst!
Also jetzt wo ich weiß, dass es eine kleine Biografie ist und ich gewisse Passagen überblättern kann, will ich das Buch haben. Vielleicht gehe ich nach Beendigung des Buches doch in die Pathologie….beruflich natürlich XD
XD
musste jetzt erstmal lachen!
Witzigerweise schreibt er so was mit den “Besuchen” der Kollegen von oben. Musste direkt an dich denken :P
[…] – „An Herzversagen stirbt man nicht“ von Paul […]
Spannend!
Ich lese ja gerade nebenher das Buch vom Tsokos (Irrtümer über die Rechtsmedizin).
Das hier würde da ja vielleicht sogar ergänzen. Ich glaube aber das ich es so im Detail manchmal vielleicht gar nicht wissen will…
Titel ist aber auf jeden Fall erstal notiert.
Mh, das ist was andres hier.
Tsokos ist vom Fach. Studiert. Und hier geht es eher biographisch zu. Würde sie nicht vergleichen oder als Ergänzung sehen.
Was nicht heißt, dass es nicht lesenswert ist XD