von Justin Cronin
Rezensionsexemplar
„Der Tag bricht an, als sie sich aus dem Haus schleicht.“ (Buchbeginn)
Proctor Bennet hat einen ganz besonderen Beruf. Er ist Fährmann. Allerdings nicht irgendein Fährmann. Im übertragenen Sinne ist er DER Fährmann. Er bringt die Menschen ins Totenreich.
Wobei das ganz richtig ist. Die Menschen liegen im Sterben. Von ihm werden sie über das Meer zur einer benachbarten Insel gebracht, wo ihnen ein neues Leben gewährt wird.
Ein Neustart.
Klingt doch ganz chillig. Dein Leben geht zu Ende und du musst dir eigentlich keine Gedanken machen, dass du „weg“ bist, schließlich kommst du bald wieder.
Ganz so einfach ist es dann nicht. Fangen wir vorne an.
Proctor – ja, so ist sein Name – ist ein angesehnes Mitglied der Gesellschaft. Er wohnt gemeinsam mit zig anderen Menschen auf einer Insel namens Prospera. Es ist ein zufriedenes Leben. Wer Nachwuchs möchte, kann diesen „beantragen“. Sobald das Paar ausgewählt wurde, können sie ein Kind adoptieren. Ein Vorgang dem viele euphorisch entgegen fiebern.
Proctor selbst ist kinderlos. Bisher. Seine Frau ist künstlerisch aktiv und braucht viel gedanklichen Freiraum. Abgeneigt ist er dem Gedanken der Adoption keineswegs. So kommt es ihm fast gelegen, als er Bekanntschaft mit einer jungen Frau macht, die seine Tochter sein könnte. Es beginnt eine ungewöhnliche Freundschaft.
Eine erste Anomalie.
Während der Fährmann sich daran erfreut etwas Abwechslung in seinem Leben zu haben. Macht ihm ein anderer Aspekt nervös. Er träumt.
Was für uns etwas völlig normales ist, ist es für die Inselbewohner keineswegs. Zumal ihn die Träume unruhig werden lassen. Könnte es sein altes Leben sein, was er da sieht? Wie oft hat er schon sein leben gelebt und welches davon besucht ihn in seinen Träumen?
Seine Unruhe macht sich langsam nach außen bemerkbar.
Als er dann erfährt, dass es die junge Frau scheinbar nicht gibt, beginnt er eine Recherche. Unterstützt von einer guten Freundin.
Allerdings bleiben seine Taten nicht unbemerkt. Als dann noch sein Vater stirbt, ER selbst ihn über das Meer bringt (es gibt durchaus weitere Fährmänner, die ihn so einem Fall übernehmen) und die letzten seines Vaters Worte hört. Ist es gänzlich vorbei mit dem Seelenfrieden. Er muss und will die Wahrheit über das Leben auf der Insel herausfinden.
Das System ist jedoch nicht auf den Kopf gefallen. Plötzlich wird seine Lebensstufe herabgesetzt. Als wäre er kurz vor dem Tod, wird somit ein Automatismus in Gang gesetzt, der ihn von der Insel bringen soll, um einen Neustart zu beginnen. Mit dem Löschen alter Erinnerungen.
Die zweite Anomalie.
Drei mal dürft ihr raten. Lässt dich Proctor überführen oder flüchtet er?
Natürlich taucht er unter. Auf allen erdenklichen Wegen versucht er dem System zu entkommen. Das ist allerdings gar nicht so einfach. Er lebt auf einer Insel.
Oder gibt es noch mehr Optionen? Who knows.
Der zweite Part des Buches widmet sich dem Ausbruch aus dem „normalen“ Leben, hinein in die Flucht und die Suche nach der Wahrheit.
Dabei wird es gelegentlich recht verwirrend. Denn, wa sich bisher nicht erwähnt habe, die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt. Proctor und eine Frau.
Mit der Zeit wird klar, wer diese Frau ist und welche Rolle sie spielt.
Dazu kommt eine Wahrheit die so tief geht … da wird alles oben Geschriebene auf den Kopf gestellt. Und vieles ergibt plötzlich Sinn.
Schlussgedanken.
Das Buch „Ferryman“ fängt so schön entspannt an und entwickelt zu einer Geschichte, wo hinhören wichtig ist, um nicht den Anschluss zu verlieren. Zugegeben. Ich hatte phasenweise viele Fragezeichen im Kopf und habe mich einfach damit beruhigt: Das klärt sich bestimmt auf! Irgendwann.
Ja, das passiert. Da wirkt selbst der Prolog ganz anders, wenn du ihn mit dem all dem Wissen am Ende der Geschichte erneut liest/hörst.
Ferryman ist mit seinen knapp 19h kein reines Nebenbei-Hörbuch. Justin Cronin hat uns einst mit seiner Passage Trilogie gezeigt, wie TIEF er gehen kann und genau das macht er hier auch. Allein deswegen lohnt es sich. Ich sag nur: Die Erde ist im Arsch. Alles hier hat einen Grund.
Ein Fährmann, der Regeln bricht und eine Wahrheit ans Licht zerrt, für die es wohl noch zu früh ist. Es lohnt sich reinzuhören (oder lesen).

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VÖ: 05/24 bei derHörverlag
Zeit: 1130 Minuten (~19h)
(Paperpack neu 05/25)
■ unbekannter Ort
■ Krimi/Thriller/Dystopie
■ Einzelband
■ weiteres Buch von Justin Cronin: Der Übergang
