Sommer 1964. Cory möchte mit seinen Freunden eine schöne Zeit verbringen. Doch mit einem Schlag ist alles anders. Der Zwölfjährige macht, gemeinsam mit seinem Vater, eine Beobachtung, die beide für lange Zeit nicht mehr los lassen wird. Dabei sah es nach einem ganz normalen Unfall aus. Abgekommen von der Straße, ohnmächtig am Steuer, versunken im tiefen unergründlichen See. Bevor es so weit kommt, versucht der Vater eine Rettung. Taucht hinab in das kühle Nass und stößt dabei auf ein grauenhaftes Bild.
Der Mann ist tot. Er war bereits tot. Blessuren, Draht, Zwangsstellung. Das war kein Unfall. Das war Mord. Fast zeitgleich sieht Cory jemanden im Wald. Einen Mann mit Hut. Er verschwindet genauso schnell aus seinem Blickfeld, wie er aufgetaucht ist. Alles nur ein Trugbild? Die Feder, die er findet, sagt etwas anderes. Sein Spürsinn meldet sich. Wer war der Mann? War er der Täter? Oder nur ein stummer Zeuge?
“Alles beruhigte sich wieder, wie es meist der Fall ist. Am ersten Samstagnachmittag im April, als die Bäume Knospen trugen und Blumen sich aus der warmen Erde schoben, saß ich zwischen Ben Sears und Johnny Wilson von brüllenden Leuten umzingelt, während Tarzan – Gordon Scott, der beste Tarzan, den es je gegeben hat – ein Messer im Baum eines Krokodiels versenkte.” (S.40)
Wer jetzt denkt, das artet alles in einem klassischen Krimi aus, der liegt weit daneben. Allein in den Zitaten, die ich hier verwendet habe, merkt man bereits, welche Fülle an Informationen der Autor in jede noch so kleine Textfuge gepackt hat. Es entsteht ein richtiges gehaltvolles Kopfkino, was von Zeile zu Zeile lebhafter wird. Dabei schafft es McCammon, nie überladen zu wirken. Ganz im Gegenteil, man will lieber noch einen Satz und noch ein Detail haben, so sehr saugt man alles auf.
Bevor ich vom Hölzchen aufs Stöckchen komme und mich dort verliere, wage ich einen Vergleich, der einem das Buch vielleicht näher bringt, ohne zu viele Detail zu verraten. “Stand by Me“, der Film aus dem Jahre 1986, wer kennt ihn nicht? Vier Jungs erleben ihren letzten gemeinsamen Sommer. Danach ist alles anders, aber DIESER Sommer verbindet sie bis an ihr Lebensende. Genauso ist es bei Cory und seinen Freunden. Führt euch den Sommer vor Augen. Die Wärme der Sonne, das sanfte Rauschen der Baumwipfel, der Duft der ausladenen Wiesen, der zarte Vogelgesang.
“Auf dieser Heimfahrt, während mir der nach Sommer duftende Fahrtwind ins Gesicht schlug und Mücken durch den Luftstrudel taumelten, den ich hinter mir herzog, erkannte ich, dass Gefängnisse nicht immer graue Steingebäude mit Wachstürmen und Stacheldraht waren. Manche Gefängisse waren Häuser, deren heruntergezogene Rollos kein Sonnenlicht hereinließen.” (S.210)
Sie gehen in den Zirkus, in die Kirche, in den Wald campen, lauschen den fantastischen Geschichten von Cory, erleben ein schweres Hochwasser, heftige Unfälle und Schicksalschläge. Sie werden von ihren Eltern umarmt, verwarnt und geschimpft. Sie haben Unfug im Sinn und gleichzeitig werden ihre kindlichen Gemüter langsam erwachsen. Sie machen neue Erfahrungen, stehen Ängste aus und stehen für sich ein. Der Fokus liegt die ganze Zeit auf Cory. Er berichtet über den Sommer seiner Kindheit. Letztlich kommt aber kein anderer neben ihm zu kurz. Man hat am Ende das Gefühl alle aus dem Dorf zu kennen. Selbst die Hunde und Katzen.
Was ist nun mit dem Mordfall? Kommt der überhaupt vor? Oder geht er in der ganzen Sommeridylle unter? Nein, geht er nicht. Cory hat ihn ständig im Hinterkopf. Auch sein Vater hat mit den Schatten der Erinneurng zu kämpfen. Denn auch, wenn hier alles jetzt super toll rosig klingt, das ist es nicht. Hass, Missgunst und Mord kommen ebenfalls vor. Ungeblümt in der richtigen Dosis. Eben aus der Sicht eines Jungen. Und man rätselt natürlich mit! Dabei bekommt man die entscheidenten Hinweise erst recht am Ende.
“Morde geschehen”, sagte Dad. “Wie wir alle wissen.”
“Ja, aber würde ein Buch über das Leben nicht reichen? Und diese blutieg Hackmesser vorn drauf … also, hätte Vernons Name nicht draufgestanden, hätte ich es gar nicht erst gelesen.”
“Das Leben besteht nicht nur aus Herzchen und Blümchen.” (S.312)
Mit diesen ganzen Worten bin ich dem Buch immer noch nicht gerecht geworden. Robert McCammon ist für mich kein Unbekannter. Seine Reihe um Matthew Corbett begleitet mich jetzt schon ein paar Jahre und ich liebe seinen Schreibstil. Hier jedoch, hat er mich deutlich mehr hinter dem Ofen hervorgelockt. Es gab zwei Szenen, wo ich wirklich Tränen in den Augen hatte, da ich so extrem mitgefühlt habe und eben in der Materie drin war. (Tränen sind bei mir äußerst selten beim Lesen. Wirklich! Von daher muss ich es einfach erwähnen.)
In “Boy’s Life” taucht man in einen Sommer ab, den man nie mehr vergessen wird. Eine Bildsprache die überwältigend ist, ein Abenteuer, das einen in all seinen Fascetten dargeboten wird und dann noch der seltsame Unfall, der eigentlich kein Unfall war und dessen Schatten wie ein Damastschwert über der kleinen Stadt schweben. Der Autor hat hier einmal mehr gezeigt, warum ich ihn immer wieder lesen würde. Jederzeit. Daher spreche ich einen klaren Lesetipp aus! Erlebt das berühmte “Stand by Me”-Feeling einmal komplett neu. (Kleine Randnotiz, der Film + die Novelle auf der er basiert, stammen aus dem Jahr 1986. Das Buch “Boys Life” aus dem Jahr 1983)
Genre: Crime / VÖ: März ’20 / Verlag: Luzifer Verlag* / Serie: Einzelband
weitere Bücher von Robert McCammon: “Swan Song“, ” Matthew Corbett Band 1“, “Matthew Cobett Band 2“, “Matthew Corbett Band 3+4“, “Matthew Corbett Band 5“
erhältlich bei: hugendubel.de*
weitere Meinungen z.B. bei Nicole von “Zeit für neue Genre“
Du scheinst wirklich begeistert zu sein und der Titel ist bereits auf meiner Wunschliste. Bei einigen habe ich gelesen, das der Mordfall eher im Hintergrund und das Buch alles aber kein Krimi o.ä ist – vielmehr das Begleiten. Ich muss gestehen, das mich das vom Buch abbrachte, aber wenn ich so deine Worte lese und den Vergleich “Stand by me”, dann hast mich definitiv wieder angefixt!
Das schöne ist, man nimmt es dem Autor nicht übel, dass der Mord nicht an vorderster Front steht, aber irgendwie steht er das doch. Ist schwer zu beschreiben. Wenn man das Buch gelesen hat, wird man es verstehen.
Habe kurz darauf den Film nochmal gesehn und fühlte mich darin bestätigt: Ein Stand by Me aus der Sicht eines 12jährigen – ich glaube nicht, dass du dieses Buch bereuen wirst :3
Na dann rutscht es doch mal ein paar Titel höher in der Wunschliste <3
Hallöchen! :)
Ich hab gerade mit ganz viel Begeisterung deine Rezension gelesen und muss nun glatt die Wunschliste um ein weiteres Buch bereichern. Ich gebe zu, auch für mich ist der “Stand-by-me” Verweis ein kleines Tüpfelchen auf dem i, aber auch schon vorher fand ich den Inhalt des Buches, so wie du es beschreibst, sehr anziehend. Lieben Dank dafür!
Liebe Grüße!
Gabriela
Bitte bitte!
Wirklich ein grandioses Buch.
Wir haben es in einer LR gelesen und alle schmachten es an XD